Beschreibung
Verfahren zum Erstellen eines Kausalen Netzes auf Grundlage einer Wissensakquisition
Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Erstellen eines Kausalen Netzes (Bayesian Network) auf Grundlage einer Wissensakquisition.
Die Erfindung liegt demnach auf dem Gebiet der Entscheidungstheorie. Im Rahmen dieser Theorie wurde die klassische Wahrscheinlichkeitstheorie auf einen äußerst präzisen mathematischen Rahmen erweitert, um rationelle Entscheidungen mit Unterstützung von Computern treffen zu können. Kausale Netze, auch als Causal oder Bayesian Networks bezeichnet, stellen graphische Darstellungen von kausalen Beziehungen in einer Domäne dar, und für diese Netze existiert bereits eine große Anzahl an Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Kausale Netze (beispielsweise beschrieben in F.V. Jensen: An Introduction to Bayesian Networks, UCL Press, 1996) stellen einen genauen und effizienten Rahmen beispielsweise zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit von jeder stochastischen Variablen bei einem vorgegebenen Satz von Beobachtungen dar.
Kausale Netze kommen auf den unterschiedlichsten Gebieten zum Einsatz, beispielsweise zur Unterstützung der Entscheidung von Ärzten (s. Andreassen, M. Woldbye, B. Falck, S.K. Andersen: "MUNIN - A Causal Probabilistic Network for Interpretation of Electromyographic Findings". Proceedings of the Tenth International Joint Conference on Artificial Intelligence, Mailand, Italien, August 1987, S. 366-372; D.E. Heckerman, E.J. Horvitz, B.N. Nathwani : "Toward Normative Expert Systems: Part I. The Pathfinder Project". Methods of Information in Medicine, Band 31, 1992, S. 90-105; D.E. Heckerman, B.N. Nathwani: "Toward Normative Expert Systems: Part II. Prob- ability-Based Representations for Efficient Knowledge Acquisition and Inference". Methods of Information in Medicine,
Band 31, S. 106-116; P.J.F. Lucas, H. Boot, B. Taal : "A Deci- sion-Theoretic Network Approach to Treatment Management and Prognosis". Knowledge-Based Systems, Band 11, 1998, S. 321- 330; B. Middleton, M.A. Shwe, D.E. Heckerman, M. Henrion, E.J. Horvitz, H.P. Lehmann, G.F. Cooper: "Probabilistic Diag- nosis Using a Reformulation of the INTERNIST-1/QMR Knowledge Base, II. Evaluation of Diagnostic Performance". Methods of Information in Medicine, Band 30, 1991, S. 256-267; K.G. Ole- sen, U. Kjaerulff, F. Jensen, F.V. Jensen, B. Flack, S. An- dreassen, S.K. Andersen: "A MUNIN Network for the Mediän
Nerve - A Case Study on Loops". Applied Artificial Intelli - gence, Band 3, 1989, S. 385-403; M. A. Shwe, B. Middleton, D.E. Heckerman, M. Henrion, E.J. Horvitz, H.P. Lehmann, G.F. Cooper: "Probabilistic Diagnosis Using a Reformulation of the INTERNIST-1/QMR Knowledge Base. I. The Probabilistic Model and Inference Algorithms". Methods of Information in Medi cine, Band 30, 1991, S. 241-250).
Die zur Erzeugung eines Kausalen Netzes notwendige Wissens- akquisition ist jedoch nach wie vor ein aufwendiges Unterfangen bei Anwendung auf komplexe Systeme, wie etwa auf medizinische Diagnose. Eine spezielle Schwierigkeit bei der Erstellung von Kausalen Netzen besteht dabei darin, die Wissensakquisition derart zu gestalten, dass sie von einem ma- thematischen Laien, wie beispielsweise von einem Arzt, ausreichend vollständig durchgeführt wird, um ein Kausales Netz aussagekräftig zu gestalten.
Eine Aufgabe der Erfindung besteht darin, ein Verfahren zu schaffen, durch welches ein Nutzer in die Lage versetzt wird, ein Kausales Netz auf Grundlage einer Wissensakquisition möglichst problemlos zu erstellen.
Gelöst wird diese Aufgabe durch die Merkmale des Anspruchs 1. Vorteilhafte Weiterbildungen der Erfindung sind durch die Unteransprüche angegeben.
Demnach sieht die Erfindung bei dem in Rede stehenden Verfahren vor, die Wissensakquisition getrennt vom Erstellen des Kausalen Netzes durchzuführen. Insbesondere sieht die Wissensakquisition das Sammeln von relevantem Wissen unter Strukturieren des gesammelten Wissens in eine strukturierte Darstellung vor, die so weit vollständig ist, dass das Kausale Netz mittels eines Computers automatisch erstellt werden kann.
Die Erfindung beschreitet demnach einen neuen Ansatz zur Wissensakquisition und Erzeugung eines Kausalen Netzes, wobei aus dem gesammelten Wissen bevorzugt mittels einer mathematischen Methode eine Untermenge derart erzeugt wird, dass die daraus resultierende Darstellung vollständig ist.
Bevorzugt ist vorgesehen, das relevante Wissen mittels eines Software-Tools zu sammeln. Dieses Sammeln mittels des Software-Tools erfolgt bevorzugt unter Dialogführung auf einer Anzeigeeinrichtung, beispielsweise auf dem Monitor eines Com- puters, in welchem das Software-Tool implementiert ist.
Ein interessantes Anwendungsgebiet des erfindungsgemäßen Verfahrens betrifft die hierdurch mögliche Unterstützung einer medizinischen Entscheidung. In diesem Zusammenhang ist erfin- dungsgemäß bevorzugt vorgesehen, dass das Software-Tool zum Spezifizieren von Krankheiten und Befunden, von Zusammenhängen zwischen Krankheiten und Befunden und von spezifischen Randwahrscheinlichkeiten und bedingten Wahrscheinlichkeiten und dazu ausgelegt ist, sicherzustellen, dass das gesammelte Wissen derart vollständig ist, dass das Kausale Netz mittels eines Compilers automatisch erstellt werden kann. Vorteilhafterweise ist hierbei vorgesehen, dass das Softwaretool die Krankheiten und die Befunde als stochastische Variable nutzt.
Bei der vorstehend angesprochenen Unterstützung der medizinischen Entscheidung mittels des erfindungsgemäßen Verfahrens ist ferner bevorzugt vorgesehen, dass eine ausgewählte Krank-
heit, ihre Randwahrscheinlichkeit sowie zusätzliche Information auf der Anzeigeeinrichtung angezeigt werden. Hierbei ist vorteilhafterweise vorgesehen, dass die zusätzliche Information fördernde und hemmende Faktoren der ausgewählten Krank- heit enthält. Zum Quantifizieren von Wirkungen der fördernden und hemmenden Faktoren ist vorteilhafterweise vorgesehen, bedingte Wahrscheinlichkeiten zu spezifizieren.
Um den Nutzer bei der Wissensakquisition zu unterstützen, ist bei dem vorstehend erläuterten Unterstützung der medizinischen Entscheidungsfindung vorgesehen, dass die Symptome einer ausgewählten Krankheit zusammen mit der bedingten Wahrscheinlichkeit, dass diese Krankheit das Symptom verursacht, auf beispielsweise einen Computermonitor angezeigt werden.
Durch die Erfinder der vorliegenden Anmeldung wurde die vorstehend im Kern erläuterte Anwendung des erfindungsgemäßen Verfahrens zur Unterstützung der medizinischen Entscheidungserfindung als Teil des sogenannten HealthMan-Projekt ent- wickelt (T. Birkhölzer, M. Haft, R. Hofmann, J. Hörn, M. Pel- legrino, V. Tresp: "Intelligent Com unication in Medical Gare". Proceedings of the Joint European Conference on Artifi cial Intelligence in Medicine and Medical Decision Making (AIMDM 99) , Aalborg, Dänemark, Juni 1999, S. 4). Dabei wird Wissen zunächst gesammelt und in eine strukturierte Darstellung unter Verwendung eines Software-Tools überführt, das auf den medizinischen Einsatz zugeschnitten ist. Dieses Software-Tool wird vorliegend auch als MedKnow bezeichnet.
Um die erfindungsgemäße Wissensakquisition zum Erstellen eines Kausalen Netzes näher zu erläutern, wird erneut Bezug genommen auf die Unterstützung der medizinischen Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit der Zeichnung; in dieser zeigen:
Fig. 1 eine Ausführungsform einer Oberfläche (Monitoranzeige) des HealthMan-Dialog- und -Beratungssystems,
Fig. 2 eine Monitordarstellung des Software-Tools MedKnow, und
Fig. 3 ein Kausales Netz für Infektionen, das durch einen Wissens-Compiler automatisch erzeugt wurde.
Das vorstehend angesprochene und in Fig. 1 in Gestalt eines beispielhaften Anamnese-Prozesses dargestellte HealthMan-Pro- jekt stellt eine Selbstdiagnose-Dienstleistung bereit, die dialoggeführt, beispielsweise mit dem Patienten, als Gesundheitsratgeber dient und damit den Mediziner hinsichtlich der Diagnose deutlich entlastet. Insbesondere sieht das HealthMan-Projekt vor, den Anamnese-Prozess des Mediziners zu emulieren, d.h., einen interaktiven Prozess auszuführen, der durch medizinisches Wissen dynamisch getrieben ist und die bereits vorliegende Information analysiert. Kausale Netze haben sich für diesen Einsatz als geeignete Technik erwiesen, weil sie in der medizinisch relevanten Richtung eine Wissens- akquisition gewährleisten, d.h., von Krankheiten zu Symptomen, und indem die bisherige Disposition für spezielle Krankheiten berücksichtigt wird. Insbesondere stellen Kausale Netzwerke (Bayesian Networks) eine korrektes Berechnungsmittel für die insbesondere der medizinischen Anamnese zugrundeliegende Unsicherheit dar. Zur Inferenz wird im Rahmen des HealthMan-Projekts die Bibliothek von HUGIN herangezogen.
Die Erfinder haben beispielhaft zum Testen des erfindungs- gemäßen Verfahrens das Szenario "anfängliche Bewertung der Ernsthaftigkeit üblicher Kinderkrankheiten" herangezogen. In Zusammenarbeit mit mehreren Pädiatern wurden Netze für mehrere Subdomänen entwickelt (beispielsweise Infektionen, Atmungssystem, Haut, Bauch, Augen, Ohren) . Das System wurde durch ein professionelles Brauchbarkeitslabor getestet und durch die Nutzer (Mütter junger Kinder) ebenso positiv aufgenommen wie durch die begleitenden Ärzte.
Das vorstehend bereits angesprochene Software-Tool MedKnow ist so konzipiert, dass zum einen medizinische Experten ihr medizinisches Wissen formulieren können, ohne dass sie ein Spezialwissen bezüglich Kausale Netze und Wahrscheinlichkeitstheorie einbringen müssen, und dass zum andern gewährleistet ist, dass das erfasste Wissen in dem Sinne vollständig ist, dass das Kausale Netz automatisch bzw. von sich aus erzeugt werden kann.
Das Software-Tool MedKnow verwendet zwei Klassen von sto- chastischen Variablen: Erkrankungen und Befunde. Ein Befund kann die Rolle eines Symptoms oder die Rolle eines fördernden oder hemmenden Faktors einer Krankheit spielen. Ein Beispiel für die Akquisition des erforderlichen Wissens ist in Fig. 2 gezeigt. Im linken Teil des auf einem Computermonitor dargestellten Fensters sind sämtliche Krankheiten und Befunde aufgelistet. Im Hauptteil des Fensters ist die ausgewählte Krankheit oder der ausgewählte Befund dargestellt. Der edi- zinische Bereich von Infektionen ist vorliegend modellhaft dargestellt und die Krankheit "Masern" ist ausgewählt.
Der obere Teil des Hauptfensters zeigt die fördernden und hemmenden Faktoren, vorliegend den Kontakt zu infizierten Personen und die Immunität. Ferner müssen erforderliche Wahrscheinlichkeiten spezifiziert werden, um den Effekt der fördernden und hemmenden Faktoren zu quantifizieren. Die Bedeutung dieser erforderlichen Wahrscheinlichkeiten und die ihnen zugrundeliegenden Annahmen sind in der Anlage zur vorliegen- den Beschreibung diskutiert.
Der zentrale Teil des Hauptfensters in Fig. 2 zeigt die ausgewählte Krankheit, ihre Randwahrscheinlichkeit und zusätzliche Informationen, die im HealthMan-Projekt verwendet werden, beispielsweise die Dringlichkeit, einen Arzt zu Rate zu ziehen. Der untere Teil des Hauptfensters zeigt die Symptome
der Krankheit zusammen mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung das Symptom tatsächlich verursacht.
Eine ähnliche Anzeige ist vorgesehen, wenn es um Befunde geht .
Fig. 3 zeigt die graphische Darstellung eines Kausalen Netzes für Infektionen, erzeugt durch einen Wissens-Compiler in Übereinstimmung mit dem erfindungsgemäßen Verfahren.
Die Erzeugung (vorliegend die automatische Erzeugung) eines Kausalen Netzes unter Verwendung des wie vorstehend erläutert akquirierten Wissens kann in zwei Teilaufgaben aufgeteilt werden: In das Erzeugen des Graphen (in Fig. 3 gezeigt) und in das Berechnen der erforderlichen Wahrscheinlichkeitstabellen.
Die Erzeugung der Graphen gestaltet sich relativ unkompliziert: Jede Krankheit und jeder Befund wird durch einen Kno- ten wiedergegeben und zusätzliche Knoten werden getrennt für das Sammeln fördernder Faktoren und für das Sammeln hemmender Faktoren jeder einzelnen Krankheit erzeugt. Pfeile werden von den Krankheiten zu den jeweiligen Symptomen gezeichnet, von fördernden Faktoren zu den jeweiligen Sammelknoten und von den hemmenden Faktoren zu den jeweiligen Sammelknoten sowie von den Sa melknoten zu den jeweiligen Krankheiten (siehe Fig. 3) .
Die Berechnung der erforderlichen Wahrscheinlichkeitstabellen des Kausalen Netzes beruht auf den spezifizierten Wahrscheinlichkeiten und dem Gatter-Typ. Für Befunde haben die Erfinder Gatter, wie etwa das sogenannte NoisyOR (F.V. Jensen: An Introduction to Bayesian Networks, UCL Press, 1996) , NoisyMAX und NoisyELENI (R. Lupas Scheiterer: Heal thMan Bayesian Net- work Description : Disease to Symptom Layer, Siemens AG, ZT IK 4, Interner Bericht, 1999) verwendet. Krankheiten wurden als förderndes/hemmendes Gatter modelliert (J. Hörn: Heal thMan
Bayesian Network Description : Enhancing and Inhibi ting Fac- tors of Diseases . Siemens AG, ZT IK 4, Interner Bericht, 1999) .
Die Berechnung der erforderlichen Wahrscheinlichkeiten bzw. der diesbezüglichen Tabellen ist der Anlage zu dieser Figurenbeschreibung zu entnehmen.